WHEN I WAS YOUNG WE USED TO PLAY THE GAME OF HIDE & SEEK

Zwischen den schmalen Wänden stand dichter Rauch. Es war stickig und viel zu warm. Der Tresen klebte vom vielen Alkohol, auch wenn heute keiner dieser rentablen Tage gewesen war. Die Zeiger einer alten Uhr über dem staubigen Gläserregal zeigte Zwei. Bald würden sie schließen, fehlte nur noch, dass diese alte Labertasche zwei Stühle weiter endlich ihr beschissenes, längst abgestandenes Weizen kippte. Doch der in sich gesunkene Trümmerhaufen von Frau dachte nicht einmal daran. Über dürre Lippen glitt munter eine Beschwerde nach der anderen, während sie wankend auf dem alten Hocker das halbvolle Weizenglas in dürren Händen hielt, als könne es sie vor einem Sturz bewahren. Ihr Mann hatte sie vor Jahren verlassen, die vier Kinder wollten keinen Kontakt zu ihr. Die Arbeit war scheiße und das Leben eine Qual. Sie nervte ungemein. Jedes einzelne Wort eine Beleidigung seines Gehörs. Warscheinlich würde sie später kotzen. Morgen mit einem Kater erneut hier auftauchen. Und dann wieder kotzen. Demnach wurde das Säubern des Tresens als überflüssig eingestuft. Schlielich würde er sich ebenso morgen zur rechten Zeit wieder an seinem Platz hinter der Bar wiederfinden. Devyn kauerte im gelangweilten Halbschlaf auf seinem Barhocker, der Alten gegenüber, von ihr lediglich durch die alte Holzplatte der Theke getrennt. Nicht, dass er ihr zugehört hätte. Ihre gelallten Schimpftirade schienen ohnehin keinen wirklich aufmerksamen Zuhörer zu suchen. Sie sollten wohl einfach nur gesagt werden. Für den Hauch eines Moments beobachtete Devyn die Alte. Sie stank. Die ganze Bar stank. "Wir schließen dann." grummelte der junge Vampir lustlos, der letzte Gast nickte ohne sein Gelalle zu unterbrechen. Ein schwaches Seufzen glitt ihm über die Lippen, dann ein kurzes Schmunzeln. Dieses wirre Weib. Ging sie nicht mit, würde er sie schlicht mit einschließen. Und sie würde es wohl nicht einmal stören, geschweige denn bemerken.

Das betäubte Maul der Alten erzählte vom Arbeitsleben der gestressten Kassiererin. Von Geldsorgen und der Wohnung, in welcher alter PVC-Boden vor sich hinblätterte. Abgestanden und längst des Lebens überdrüssig - wie die Schwarzhaarige eben auch. Er rümpfte die Nase, ihre der Welt entgegen gewürgte Qual war lästig, ebenso abgestanden und drückend wie der warme Rauch innerhalb der leeren Bar. "Wir schließen jetzt." hörte Devyn sich reden, wischte zum Schein ein zwei Mal mit dem nasskalten Lappen über die klebrige Theke. Die Alte grummelte mürrisch. 'Ja, ja.' Sie hob das Glas zum Trinken, der Gedanke an das abgestandene Bier lies Ekel in ihm wachsen, wenn auch nicht heftig genug, als dass dieser die gewohnte Gleichgültigkeit im Blick des jungen Kellners hätte erschüttern können.

Die schwere Eingangstür glitt auf, schwere Absätze hallten im Raum wieder. Tträge wandt er den Kopf in Richtung des klirrenden Geräusches. Stimmen, Gäste, aber er würde jetzt schließen. Sollte sich verpissen, wer auch immer sein müdes Gehör zu strapazieren gewillt war. "Wir schließen." Er war aufgesprungen, strengen Blickes die neue Kundschaft musternd. Eine ehrliche Haut hätte reinstes Erstaunen geäußert, in seinen Augen allerdings blieb ein stetiger Satz an genervter Missbilligung zurück. Effy? Effy. Die Rothaarige sah gut aus. Schlank wie immer, doch der Kleidungsstil, das Auftreten, die Ausstrahlung war eine ganz andere geworden. Neben ihr nicht weniger aufgetakelte Gesellschaft. Sah auch nicht schlecht aus. "Oh, Effy." Devyn gab ein gekünsteltes Schmunzeln zum Besten. Was wollte die hier? Wollte sie ihn verarschen? Ein genüssliches Stirnrunzeln zog über die müden Züge. Sollte sie. Er würde hinter alles blicken, was sie ihm verzweifelt aufzutischen versuchen würde. Dass er in dieser neuen, aufregenden Situation möglicherweise einmal der Idiot war, welcher mittellos schrägen Arbeiten nachging, störte den jungen Vampir kaum. Umgebung war zweitrangig. Ebenso wie die Meinung anderer. Er wusste, dass er schön war. Atemberaubend. "Lang nicht mehr gesehn."

Die Alte grummelte wieder. Sie hatte sich nun ebenfalls den Mädchen zuwandt, es zumindest einmal geschafft den vernebelten Kopf in Richtung der Eingangstür zu drehen. Dass sie ihrer Trinksucht wegen Gefahr lief vom Hocker zu fallen, schien niemanden zu interessieren. Ohnehin war die Aufmerksamkeitsspanne der Alten gering. Weder Devyns Worte, noch die von Effy und ihrer kleinen Truppe fanden wirkliche Beachtung. Er hingegen beobachtete die Situation ganz genau. In der Stimme der Rothaarigen fand sich jede Menge Distanz wieder, die er von der hageren Bekanntschaft nicht gewohnt war. Zeit um über früher nachzudenken blieb dennoch nicht, das Erstaunen wuchs und die neue Kundschaft schien jede Menge neues Potential aufzubauen.

'Devyn.' War seltsam seinen Namen aus ihrem Mund zu hören. Dennoch blieb die Gewissheit auch eine solche ungewohnte Begegnung am späten Abend zu meistern. 'Freut mich auch dich zu sehen.' Er nickte kaum sichtbar. Der Trümmerhaufen zu seiner Rechten nippte am toten Weizen, nun schien auch die Schwarzhaarige ein Teil der kleinen Gruppe geworden zu sein, denn Effys Blick blieb sichtlich auf der abgewrackten Gestalt der Schwarzhaarigen. 'Dein Abendessen?' Er spürte, wie er sauer wurde, ebenfalls kurz zu seiner Rechten blickend, dann diese ganz und gar unpassende Bemerkung mit einem knappen, spöttischen Lächeln abtat. "Nein." Effys Forschheit war beleidigend. Ihre ganze Anwesenheit war das. Doch das seichte Lächeln blieb. "Jetzt steht doch weit besseres zur Auswahl, Liebes. Also, bleibt ihr hier? Ich lass 'ne Runde springen. Wir haben uns nun wirklich lange nicht mehr gesehen." Die Ellenbogen des Dunkelhaarigen stützten auf der verdreckten Theke, der Blick lag herausfordernd, wenn auch in gespielter Freundlichkeit auf der jungen Truppe. Eigentlich nur auf Effy. Das Geschnatter um sie herum schien zögerlicher, unentschlossener Ballast.

'Bedien dich.' Sichtlich angestrengt verkniff Devyn sich jeden Kommentar, zeigte eine Reihe weißer Zähne während er tonlos lächelnd der neckenden Manier der Rothaarigen standhielt. Noch immer stand die Frage im Raum, ob erwartungsvolle Neugierde oder aber Effys anmaßende Art den Abend zu solch später Stunde dominierte. Beides wurde deutlich gespürt, beides blieb zu seiner Zeit im gleichen Maße intensiv. Und beides wurde wie schon seit eher mit herablassendem Spott behandelt. Später vielleicht, du kennst mich doch... Er wandte sich ab, sammelte kleine Schnapsgläser auf der dreckigen Theke. "Jäger oder Tequila?" Für den Moment sah er sie fragend an, schlecht gespielte Höflichkeit lag auf süffisant verzogenen Zügen, dann fiel der Blick des jungen Vampirs ebenso zuvorkommend wie auch gleichgültig auf die letzten Reste menschlicher Kundschaft, welche nun mehr an einen Haufen zerstreuter Hühner erinnerte. Sie schienen wohl alle schon etwas getrunken zu haben, doch die zuvor gelebte Partystimmung war angesichts der neuen Situation in den zarten Gesichtern nicht mehr wiederzufinden. Verwirrt von der gähnenden Leere der alten Bar, von der schlechte Musik, dem stehenden Geruch von kaltem Nikotin, verwirrt von der Alten an der Theke und schließlich verwirrt von Effys Benehmen gegenüber seiner Wenigkeit.

Ahnunglose kleine Geister, oh wie amüsant, dass sie ihm mitten in dieser Einsamkeit serviert wurden. Trotzdem nervten die verunsicherten Blicke, das Getuschel strengte die müden Sinne des jungen Vampirs zunehmend an, sie störten, sie waren zu verstört, zu unsicher. Er hätte Effy gerne für sich, doch einerseits blieb fraglich wie lange eine solche Begegnung harmonieren würde und andererseits war die Idee mit dem Naschen gar nicht so schlecht. "Okay, also entweder ihr trinkt mit, oder ihr verschwindet." bot er dem gestylten Haufen Frischfleisch dann doch in feinster Kellnermanier an, nahm im gleichen Zug dem stinkenden Alkoholloch von Frau den letzten Rest Weizen weg. "Verzieh dich. Das Weizen geht aufs Haus." Sie würgte ihm lautstarkes Genörgel in schiefen Tönen entgegen, dann wurde mürrisch das klägliche Hab und Gut eingesammelt.

Die Alte torkelte aus dem Schuppen. Sein Blick folgte ihr nicht, die bloße, mit Alkohol vollgepumpte Silhouette der Schwarzhaarigen hatte kaum ausreichendes Potential um die Aufmerksamkeit des jungen Vampirs bis zum Ende auf sich zu halten. Nicht einmal der gefühlte Ekel reichte aus. Effy hingegen hielt sich noch immer in der Nähe seiner markanten Züge auf. Auch an ihrem Ausdruck konnte er kaum eine Veränderung fest stellen, was trotz der späten Stunde doch leichte Unruhe auslöste. 'Tequila.' Sie wirkte beinahe teilnahmslos, auf eine bestimmte, selbstsichere Art und Weise. Suchend, nach irgendwelchen verräterischen Anhaltspunkten musterte der Dunkelhaarige knapp, wenn auch nicht weniger eingehend die schmeichelnden Züge der hageren Rothaarigen. "Also gut, Tequila." wiederholte Devyn leise, zog dann begleitet vom seichten Schmunzeln der Tequila aus dem Kühlfach unter der Bar um ihnen beiden die Gläser zu füllen. Zitronen waren hier schon seit eher Mangelware, weshalb Schnaps hier pur - allerhöchstens mit etwas Salz - gekippt wurde. "Bitteschön."

'Du hast dich nicht verändert.' Beinahe schon verwirrt vom plötzlichen Wandel der Situation blickte Devyn vom Tresen auf. Effys strenge, unnahbare Fassade schien zu bröckeln, ihre Augen hatte scheinbar an Leere verloren. Ob das nun gut oder schlecht war - fraglich. Warscheinlich von beidem etwas. Oder schlicht nichts dergleichen. Er hatte die Lippen geöffnet, um ihr etwas zu erwidern. Wusste selbst nicht genau was, doch kam ihm ohnehin ein Mitglied von Effys Truppe zuvor und keinen Moment später war ihm der Gedanke an die ausstehende Antwort bereits entronnen. Die nervigen Anhängsel der Rothaarigen verabschiedeten sich, stolzierten aus der Bar, was seinerseits nur mit flüchtigem, bestandslosem Interesse verfolgt wurde. War wohl besser so. Wenn auch ein Wenig schade um die verflossene Chance eines kleinen, dezenten Mitternachtssnacks. Effys Freunde hin oder her.

Effy. Zierliche, dürre, kleine Effy. Der Blick des jungen Vampirs glitt wieder zur nun wohl einzigen menschlichen Seele innerhalb des alten, modrigen Schuppens. Die wenigen zuvor gesprochenen Worte der Rothaarigen klebten unnatürlich intensiv an Devyns müden Sinnen. Noch immer stand seine Antwort aus. Ahnte sie etwas? Erinnerte sie sich an frühere Tage? War nun die Zeit darüber zu reden? Unsicher fuhr sich der junge Vampir über die angestrengt in Falten gelegte Stirn. "Wär es denn nötig gewesen?" antwortete er schließlich mit schwachem Lächeln und hob das Glas um mit der einstigen Verflossenen anzustoßen. "Ich meine, was hattest du denn erwartet?"

Der Pöbel hatte sich verzogen. Devyn wartete einen Moment, ehe er seine Theke verließ um die globige Eingangstür abzuschließen. Der Schlüssel kratzte widerspenstig im altersmüden Schloss, klirrte geschäftig in den knöchernen Händen des Vampirs, als er seinen Gang zurück antrat, die halbvolle Flasche Tequila auf den verdreckten Tresen stellte und neben Effy auf einem der ausgesessenen Barhocker Platz nahm. Die Nähe war ungewohnter als zuerst vermutet, schließlich lagen zwischen der letzten Begegnung gute zwei Jahre. Sie roch gut, er stank warscheinlich nur noch nach Wärme und Rauch. "Wenn du lieber 'n Bier oder so willst, sag Bescheid..." Devyn schenkte sich nach, schob dann der Rothaarigen den Tequila entgegen. Der abwartende Blick grüner Augen lag schwer auf der dürren Gestalt des Mädchens, doch ihr plötzlicher Stimmungswechsel kam ebenso unvorhersehbar wie der vorherige. 'Stimmt.' Ungewohnte Kühle dominierte Effys Worte. Um aufkommende Proteste zu überspielen, haftete das gewohnte halbherzige Grinsen auf den makaberen Zügen, infizierte jeden schlecht gespielten Ausdruck. Ihre Missgunst erstaunte den jungen Vampir, ärgerte ihn, nervte.

Devyn drehte das volle Schnapsglas in Gedanken zwischen müden Fingern, Effys plötzlichen Vorwürfen aus teils erstaunter Distanz folgend. Ganz gleich was sie von seiner Wenigkeit erwartet hatte, er musste sie in jeder Hinsicht enttäuscht haben. Beim Gedanken daran lachte Devyn bitter. Angestrengt fuhr er sich über die müden Züge. "Du tauchst hier also auf - einer halben Ewigkeit -, nur um mir das zu sagen? Effy, was kümmert dich das eigentlich?" knurrte Devyn. Wut kroch ins Gemüt des jungen Vampirs, er lies vom Glas ab, drehte sich auf dem alten Barhocker um Effy direkt anblicken zu können. "Was hätte sich deiner Meinung nach so drastisch ändern müssen, hm?" Er sprach abfällig, als müsse er irgendeiner niederen Existenz das Leben erklären. Vergiss nicht wer von uns sein halbes Leben auf der Straße verbracht hat. Ich würde sagen du lässt in Zukunft mal lieber die Finger von was immer du dir eingeworfen hast. Kurz wurden Effys geweitete Pupillen betrachtet, ihr ausdrucksloser Blick, dann drehte sich Devyn wieder dem Tresen entgegen als stünde ein neuer Kellner dahinter. Doch die Bar blieb leer. Er seufzte.

'Ein ganzes Jahr ist drauf gegangen... oder zwei.' Sein müder Geist arbeitete angestrengt, träge kreisten die Gedanken des jungen Vampirs um Effys Erzählungen. Ein Unfall also. Ein ganzes Jahr oder zwei. Weg. Vielleicht wusste sie wirklich nichts. Vielleicht sollte er sie aufklären. Andererseits waren die alten Tage einer längst unwichtig gewordenen Vergangenheit auch bei jüngsten Begegnungen nie ein Thema gewesen. Unweigerlich schmunzelte der Dunkelhaarige, dachte daran wie er sie mit zerbissenem Hals aus dem Krankenhaus gerettet hatte... Auch an diesen Tagen hatte niemand über die gemeinsame Kindheit geredet. Abgesehen davon, war sich Effy über sein Dasein als Vampir noch immer bewusst. Gut möglich also, dass ihre Gedächtnislücken eine ganz andere Zeit betrafen. Musternd beobachtete er die Rothaarige, ehe sich Devyn das Schnapsglas wieder mit Tequila aufgoss. 'Warum fragst du?' "Nur so." antwortete er, leerte das Glas und richtete sich auf, den Ellenbogen auf die Theke gestütz. Möglicherweise war sie auch anderen Vampiren begegnet. Sein Blick fiel auf den schmalen Hals der dürren Rothaarigen. Effys armseeliges Leben hatte tatsächlich eine auf groteske Art und Weise aufmunternde Wirkung. "Und du findest das nicht schlimm? Ich meine... " Boshaft wurde eine Reihe weißer Zähne präsentiert, stumm lachte Devyn auf. Sollte sie sich nun wirklich nicht mehr an alles erinnern, war ihr plötzliches Auftreten doch mit lachhafter Ironie verbunden. "Weißt du, dass ich dich schon zweimal beinahe umgebracht hätte?" Und falls ja, warum zur Hölle bist du dann hier? Das Grinsen blieb, wachsam taxierte ein starrer Blick aus grünen Augen die Rothaarige.

Effy gab sich gänzlich unbeeindruckt. Es schien als plaudere sie über unbeschwerte Kindheitserinnerungen, über die Harmonie alter Tage - wo doch nie eine gewesen war. Er war ihr auf eine seltsame Art und Weise dankbar dafür, denn die unbeschwerte Gleichgültigkeit der Rothaarigen lockerte die ganze Situation merklich auf. Es war als könnte er sich gegenüber der Rothaarigen jeden nur erdenklichen Fehltritt erlauben und sie würde es mit Humor nehmen, es nicht als Ernst genug empfinden um darüber streiten zu wollen. Die übermüdeten Züge des Vampirs strafften sich erneut zum erstaunten, wenn auch erschöpften Lächeln. Das war es, was er an Effy mochte, ein Gefühl der unerschütterlichen Sicherheit. Das war es wohl, was sie zu einer höchst angenehmen und geduldeten Gesellschaft machte. "Wir waren mal zusammen, weißt du das noch?" wollte Devyn wissen, während die grünen Augen noch immer höchst neugierig Effys dürren Züge begutachteten. "Ist schon lange her, ich war noch menschlich.." fügte er beiläufig hinzu, als wäre es nun an der Zeit das Thema zu wechseln und übers ständig schlechte Wetter zu reden.

Effy hatte die Worte des jungen Vampirs vernommen. Sie einfach still hingenommen und nur ganz leicht mit dem Kopf genickt. Dass er gerade hier über einen vergessenen Teil ihrer Vergangenheit plauderte, schien irgendwie so absurd zu sein, dass es fast unmöglich war, dass sie es tatsächlich vergessen hatte. Das Thema einfach so anzuschneiden war fast als würde er über etwas belangloses reden. Unnötiger Smalltalk den kaum jemanden interessierte, so wie über das Wetter reden, oder jemandem erzählen wie er heute morgen sein Butterbrot geschmiert hatte. Es war alles so unrealistisch. ,,Mhm..." machte Effy schließlich und durchbrach die Stille die sich über die beiden gelegt hatte. Sie hatte keine Ahnung was sie noch dazu sagen sollte. Sie wusste nicht ob sie ihm glauben schenken konnte oder ob er sie nur veraschte weil sie sich ja eh nicht mehr daran erinnern konnte. Wer wusste schon wie krank die Gedanken des Vampirs waren? Effy wusste es mit ziemlicher Sicherheit nicht. Immerhin konnte sie keine Gedanken lesen. Ob es Vampire konnten? Schließlich kam ihr die Frage 'Wirklich?' über die Lippen. Sie wusste nicht ob es dumm oder unangebracht war. Aber vielleicht brach er im nächsten Moment in schallendes Gelächter aus und meinte, es sei nur ein Scherz gewesen? Ein schlechter um das anzumerken!

"Ja, wirklich." bestätigte er Effys Frage ruhig, sah sie von der Seite an. Die raue Stimme blieb monoton und die Kehle müde. Er hatte nicht den Drang zu überzeugen, trotzdem wurden hohe Erwartungen an ihre Reaktion gesetzt. Der Alkohol lies Devyn sentimental werden und er musste beschämt zugeben, dass er in dieser Sekunde unglaublich gerne über alte Zeiten geredet hätte. Dass er Effys Anwesenheit nach so langer Zeit genoss und nicht allzu schnell wieder aufgeben wollte. Doch der Verlust ihres Gedächtnisses kränkte sein reizbares Gemüt, fauchte seinen müden, kantigen Zügen entgegen. Er würde ihr quasi alles erzählen können. Missmutig presste er die schmalen Lippen aufeinander, starrte dem leeren Schnapsglas entgegen. Für eine Weile blieb es still. Nur die alten Rockplatten spuckten weiter abgenutzte Töne in das verbrauchte Innere der Bar.
Die schmalbauchige Tequilaflasche war nicht einmal mehr halbvoll. Und trotz des Alkoholflusses wurde der Raum von drückender Lethargie bestimmt. Beim Gedanken daran wurde ihm schlecht. Er hatte sich irgendwie mehr Emotionen nach einer solchen Beichte vorgestellt. Da er allerdings selbst nicht wirklich sagen konnte, wie er sich fühlte oder aber fühlen wollte, war die Wortkargheit der Situation nicht unbedingt problematisch. Vielleicht vereinfachte sie sogar so manches, ohne dass er davon wusste. Doch was Devyn zuvor noch begrüßt und gelobt hatte, nervte den jungen Vampir. Der Waffenstillstand - eben noch so reizvoll - wurde lächerlich in den grünen Augen, der Impuls eben diese Armut an Emotionen aufzubrechen blieb unbändbar. Scheiß' Gedächtnis! Er musste das jetzt verderben. "Ja, ja... ich hab dich verlassen." surrte Devyn plötzlich, richtete sich auf, die Stimme süffisant, ein abwertendes, aalglattes Grinsen auf den Lippen. Er konnte ihr alles erzählen. Jetzt, wo die Wahrheit ohnehin kaum greifbar schien. "Du warst scheiße." Er kicherte leise, rau. Mehr gekränkt, abwertend als dass Devyn es wagen würde die Rothaarige auszulachen. Hätte er gewusst, dass Effy schon sehr viel früher die Option eines schlechten Scherzes in Betracht gezogen hatte, nun, hier war er. Kaum zum Lachen und was den Wahrheitsgehalt anbelangte nicht einmal lebensfähig. Die schlechte Lüge eines vor Jahren gekränkten Kellners.

Schwer zu sagen welche Promillezahlen diese Begegnung gerade dominierten. Seiner Unart nach warens wohl keine aus legalen Intervallen. Er würde nicht mehr fahren dürfen, gewiss nicht mehr fahren, nein, er würde ohnehin kriechen. Die Welt mit seiner Widerlichkeit beglücken, den letzten Joint rauchen, kotzen, schlafen.

Die Kommentare des jungen Vampirs stießen auf taube Ohren, auf ein kurzes abwertendes Knurren, was deutlich signalisierte: Ich hab genug gehört, danke. Effy war aufgestanden. Er war ein Idiot. Schenkte sich nach, kippte das Glas in einem Zug nur um kurz danach ebenfalls den sicheren Barhocker zu verlassen. Der Schnaps brannte in Kehle und Magen. Die alten Holzdielen unter den Füßen fühlten sich dank des Alkohols beinahe weich an und es brauchte eine Weile ehe der ausgelaugte Körper des jungen Vampirs sich an die neue Bewegung gewöhnt hatte, auch wenn er sich nichts anmerken lassen wollte. In schnellen Zügen stand Devyn hinter der Bar, nahm klirrend zwei Heineken aus dem alten Kühlschrank unter dem verklebten Tresen um sie nebst Tequila & Co. zu platzieren. Die Scharniere quietschten leise, das Schloss klemmte und so brauchte er zwei Anläufe um die Kühlschranktür wieder zu schließen. Als Devyn sich aufrichtete hatte sich Effy zum Gehen aufgemacht, ihre schlechte Laune war mit einem Mal im ganzen Raum spürbar, machte ihn nur noch wütender und je mehr er sich seiner Taten bewusst wurde, desto größer wurde auch die Verlockung einfach weiterzumachen. Sie zu vertreiben, sie zum Weinen zu bringen um danach schlicht nichts mehr von der dürren Rothaarigen zu hören. Er wollte sich nicht entschuldigen, nicht zugeben, dass sie ihm doch wichtig war. Dass sie bleiben sollte und ihm zuhören, damit man sich endlich nach so langer Zeit versöhnen konnte. 'Ich glaub dir kein Wort. Nur damit du's weißt!' Effy bewegte sich Richtung Tür. Brauchst du auch nicht. War eh Bullshit... Devyn beobachtete still jeden ihrer Schritte hinter dem Tresen. Lies für einen Moment hilflos die Schultern hängen, wusste nicht, was zu tun war oder kämpfte damit dem vom Alkohol vernebelten Kopf eine Entscheidung abzuringen. In jedem gescheiten Hollywood-Streifen würde er nun einfach galant über den Tresen springen, er würde Effy packen und den schönsten aller bisher gedrehten Filmküsse abliefern. Im echten Leben allerdings war Devyn um ein Weites zu stolz, zu arrogant um überhaupt um die Gunst der hagere Rothaarige zu kämpfen. Wollte sich nicht eingestehen, wie er über sie dachte und meisterte diese Feigheit durch Grobheiten und abwertende Kommentare. Devyn war und blieb das gewohnte Arschloch. Und viel zu betrunken um einen solchen heldenhaften Sprung über den Tresen zu meistern. Er würde sich wohl mindestens beide Knie und ein Handgelenk aufreissen.

"Effy, nein, ...setz dich wieder." bat er sie schließlich leise mit resigniertem Seufzen. Ein schiefes, gequältes Lächeln legte sich makaber auf die harten Züge des jungen Vampirs, als hätte man soeben einen schlechten Scherz auf seine Kosten gemacht und für den Moment senkte er den Blick, sah hilfesuchend den klebrigen Tresen entgegen. Dann zwang er sich zur Ernsthaftigkeit. "Effy..." begann Devyn schuldbewusst, wenn auch betrunken, zog die Mundwinkel zur Seite als ihm die Worte ausgingen. "Effy, ich habs nicht so gemeint." versuchte er sich zu erklären doch ihr angedeutetes Gehen machte ihn nervös. "Los, setz dich wieder."